Eines Tages wird Boris von einem Paar gefunden, das keine Kinder haben kann. Sie lieben ihn vom ersten Moment. Und so wächst Boris wie alle anderen Kinder auf. Lernt Dinge. Erlebt Abenteuer. Die Jahre vergehen. Da spürt Boris einen Windhauch mit einem Geruch, der seinen Kopf mit Fragen füllt. Ihn tief bewegt und magisch anzieht. So stark, dass er beschließt zu seinen Wurzeln zurückzukehren: „Boris und der Ruf des Wassers“…
Als seine Eltern ihn fanden, hatten sie noch keine Kinder und hätten doch so gerne welche gehabt. Ein Neugeborenes in der Nähe des Teiches, schien ihnen wie ein Geschenk des Himmels. Dass es große Augen und Kiemen hatte wie ein Fisch, war ihnen unwichtig. Sie nannten ihn Boris. Und Boris wuchs heran. Er spielte, aß und lachte. Lernte Fahrrad fahren und auf Bäume zu klettern. Ging in die Schule. Ganz genau wie andere Kinder.
Doch mit den Jahren, die vergingen, fragte ich Boris immer wieder, wie es gewesen wäre, wenn er im Teich geblieben wäre. Bisher hatte er ein Leben gehabt, das nicht zu ihm gehörte. In einer Welt, die ihm fremd war. Seine Welt war der Teich und so folgte er dem Ruf des Wassers. Hier lebten viele andere, die wie er Kiemen und große Augen hatten. So beschloss Boris zu bleiben. Aber seine Eltern vergaßen ihn nicht. Oft gingen sie zum Teich und hinterließen Botschaften für ihn. Immer und immer wieder. War er jetzt da, wo er war, wirklich glücklich?
Wow und uff – meine ersten Gedanken zu „Boris und der Ruf des Wassers“* von Davide Calì. So viele Fragen, die es aufwirft. Eine Geschichte, die viel Interpretationsspielraum sowie Reflexionsmöglichkeiten bietet. In der nicht unbedingt alles gesagt, alles erklärt wird. Und dennoch in seiner Komplexität Themen wie Diversität, Unterschiede, Identität, Selbstfindung, Selbstwert, Integration, Akzeptanz, Adaption, Loslassen, Festhalten, Gemeinsamkeiten und Liebe aufgreift. Eine Fülle, die emotional tief berührt und zum Nachdenken anregt. Und zeigt, dass die Vielfalt in unserer Welt keine Grenze, sondern eine Ressource für jeden von uns ist.
Vor allem aber auch, dass ebenso die Liebe keine Grenzen kennt. Sie über alles hinausgehen kann. Unabhängig. Bedingungslos. Unvergleichlich. Universell. Einzigartig. Was sich in den Illustrationen von Marco Somà wundervoll wiederspiegelt. Eindrucksvolle Szenen voller Poesie, Nuancen, Facetten, Flüstern und Hoffnung, die über die Seiten schweben und fliegen. Atmosphärisch dicht. Märchenhaft. Reich an Details. Aber eben doch immer wieder mit der Frage begleitet, ab welchen Alter Kinder die metaphorische Bedeutung auch wirklich verstehen. Eher weniger für zu Hause, mehr für den Einsatz in Gruppen, Kindergärten oder Schulen zu empfehlen. Es braucht definitiv Begleitung beim Lesen.
Eure Janet
Text: Davide Calì
Illustration: Marco Somà
Verlag: Carl-Auer Verlag
Erscheinungsjahr: 1. März 2018
Altersempfehlung: ab 6 Jahre
ISBN: 978-3-8497-0207-6
Bildquelle: © Carl-Auer Verlag