Die Bibliothek der Wahren Lügen

Von Geschichten und wahren Lügen

„In jedem noch so kleinen Winkel der Erde gibt es Geschichten. An jeder Weggabelung, hinter jeder Tür. Vielleicht hat jemand seine Liebe gestanden oder sie verloren, vielleicht hat jemand fröhliche Gedanken verfolgt oder finstere, vielleicht verzeiht jemand einen alten Feind oder jemand anderes setzt neues Leben in die Welt. Doch in dem Moment, in dem es weitererzählt wird, verwandelt es sich in eine Geschichte – Die wahre Lüge ist und ist nicht. Sie ist das, was die Erzähler brauchen, um Geschichten zu schaffen. Sie ist alles, was sein kann. In ihr lebt die mächtigste Magie, die treueste Liebe. In ihr stecken alle möglichen Zukünfte und alle Vergangenheiten, die nie waren.“

Die Bibliothek der Wahren Lügen

Oskar, der unter Mobbing in der Schule sowie dem Verlust seines Vaters leidet, flüchtet sich oft in die fantastischen Romane von Simon Bruma. Aus denen hat ihm sein Vater früher immer vorgelesen, und Oskars Traum ist es, auch irgendwann in der Zukunft Geschichten zu schreiben. Als Oskar an seinem Geburtstag den neuesten Band aus Brumas Ozymandias-Universum geschenkt bekommt, entdeckt er in dem Buch einen Hinweis auf einen Schreibwettbewerb, dessen Preis ein Fantasy-Schreibkurs eben bei diesem ist. Gewinnen wird, wer die beste Lüge schreibt.

Bibi, die Schwester von Oskar überredet ihn mitzumachen. Und Oskar gewinnt. Simon Bruma holt ihn sogar persönlich bei ihm zu Hause ab und bringt ihn nach Neblina. Dort lebt er zusammen mit seiner Tochter November in einer alten Villa. Auf dem Anwesen angekommen, ist aber gar nichts so, wie es Oskar erwartet hat. November ist krank. Ihre Krankheit ist magischer Natur, und nur die Magie einer Geschichte hat die Kraft, sie zu heilen. Doch die eigenen Geschichten von Simon Bruma sind absolut wirkungslos, deshalb braucht er Oskar, der die richtige Geschichte mit der richtigen Magie erschaffen soll, um November zu retten. Und so beginnt Oskar zu schreiben; von einer fantastischen Welt, in der es singende Raupen, fliegende Riesenmäuse und Urgroßväter von Drachen gibt…

Die Magie von Geschichten

In „Die Bibliothek der Wahren Lügen“* entführt Jesús Cañadas in eine fantastische Welt voller Magie und in eine Geschichte, in der er nicht nur von Liebe, Angst, Mut, Verzweiflung und Hoffnung erzählt, sondern auch von der Leidenschaft zur Literatur, zu Büchern – deren Wirkung und Unterstützung in Bezug auf das Leben und die Realität – und von der Kunst, zu schreiben und zu erschaffen sowie von Träumen, Wünschen, Sehnsüchten und den Glauben daran.

Die philosophische Botschaft ist fabelhaft mit viel Gefühl, Dynamik, Humor und einer Anleitung zum Schreiben an sich (so manch Geheimnis darüber wird preisgegeben) verwoben. Eine Komplexität, die über verschiedene Handlungsebenen in der Erzählung getragen wird, aber auf diese Weise trotzdem verständlich ist und bleibt, ohne dabei an Tiefe zu verlieren. Um dann am Ende mit einem Twist noch einmal so richtig zu überraschen. Von und über die Magie von Geschichten und ihrer wirkungsvollen Kraft zu inspirieren, zu berühren, zu bewegen und zu verbinden.

Eure Janet

PS: Das Geschichte wird an sich auf ganz fantastische Weise erzählt. Nur gibt es leider durchgehend ableistische Formulierungen in Bezug auf Personen; die überdenkenswert sind und auch nicht mehr in Bücher abgebildet, verbreitet und geschrieben werden müssen. Aber vielleicht und gerade dadurch kann ein Gespräch über die Wortwahl und die Sichtweise auf sich selbst und andere entstehen.